Gleichbrei

Jo, da hockt man nun und überlegt sich ernsthaft, was einen Blog von einem Tagebuch unterscheidet.
Vielleicht die Tatsache, dass man, in meinem Fall ja eher freundlich aufgedrängt, den Druck entwickelt, irgendwelche bedeutsamen Gedanken an die Menschen bringen zu müssen, oder ähnliches.

Viel mehr gelüstet mich aber, mir Gedanken über das scheinbar Bedeutungslose, Langweilige zu machen. In einer völlig reizüberfluteten Gesellschaft doch fast schon spannend!
Normalität ist ein stark abhängigmachendes Program. Es kann nur durch scheinbar unwichtiges, experimentielles, lustvolles Spielen in verschiedenen Realitäten unterbrochen und verändert werden hin zum natürlichen Gleichgewicht und Einklang mit der Erde.
Im Grunde befindet sich der Mensch in seiner geistigen Evolution irgendwo im Stadium des knapp erwachsen gewordenen Individuums, noch sehr egoistisch und uneinsichtig, auch wenn irgendwo im Bewusstsein ein düsterer Horizont dämmert…
Äusserst aktuell ist somit ein indianisches Sprichwort, welches sagt, dass der Mensch tun kann, was er will, solange er die nächsten sieben Generationen berücksichtigt.

Ich hatte lange Zeit eine fantastische Aussage von Peter Bichsel an der Eingangstüre des Kindergartens hängen, den genauen Wortlaut weiss ich nicht mehr, aber sie handelte von der Langeweile. Erst wenn wir genügend Zeit und Muse haben, um echte Langeweile zu verspüren und auch auszuhalten, kann ureigene Kreativität entstehen. Also schaut, dass ihr genug reinzieht und euch ja nicht langweilig wird, sonst würdet ihr ja eure Lust, eure Freude am eigenen Ausdruck entdecken und würdet aufhören, derart viel zu konsumieren! Das kann ja nun wirklich nicht im Interesse der Wirtschaft sein, dass die Leute anfangen eigene Ideen zu haben und sie erst noch freigiebig und mit wenig finanziellem Aufwand umsetzen!

Im direkten Zusammenhang möchte ich unbedingt das letzte Wochenende hier im Ort erwähnen. Am Freitagabend fand die alljährliche „Uusestuehlete“ statt, die ihrem Namen im deutschen Sinne alle Ehre machte!
Eine lange, monoton gleich weiss aussehende Tafel durchzog die hübsche Marktgasse wie ein hässlicher Wurm, die darauf verteilten Äpfel kämpften kläglich gegen das Gesamtbild an.
Fort die gemütlichen improvisierten Bars und Tische vor Läden und Privathäusern, die „Hock doch mal zu uns rüber“-Rufe! Früher mischten sich in der Mitte der Marktgasse stehend Leute, überall waren heimelige Kerzen aufgestellt, es war eine Freude fürs Auge und Gemüt! Wirkliche Begegnungen fanden statt, jeder hatte seine ureigene Art seine Stühle heraus zustellen. Jetzt war jegliche Individualität durch die gleichmachende Kaufatmosphären-Combo vertilgt. Ganz nebenbei, die Tische mussten gemietet werden.
Ich möchte mich nicht falsch verstanden wissen, ist ja alles immer ganz nett, gähn, aber diese gewinnträchtige „Uniformierung“ aller gesellschaftlichen Anlässe ist im höchsten Masse kreativitätsermordend!
Mode-Mai, statt 1. Mai, Kauf-stadt statt Städtli, Kauf-Nacht (vielleicht sollte man,wie von Raphael vorgeschlagen, eine Sauf-Nacht einführen) und jetzt eben die Rausstuhlerei.

Bleibt gespannt zu hoffen, dass die zukünftige Kultur-Stadt etwas farbiger und vielseitiger und nicht ganz so normal werden darf.

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